Am Anfang ein Eingeständnis: Ich erstelle gerne Materialien für die Lehre. Ja, ehrlich. Ich nutze gerne Elemente und Referenzen aus diversen Hobbies und Interessen, um meine Lehre für mich – und wie ich hoffe auch für die Studierenden – interessanter, lustiger und damit motivierender zu gestalten. So gibt es beispielsweise Arbeitsblätter mit Beispielsätzen, die alle aus dem Filmuntertitelkorpus (The Walking Dead, The Big Bang Theory, Game of Thrones …) des DWDS stammen oder Memes:
Linguist Llama meme: „Ain’t no party like a fricative party. ‚Cuz a fricative party don’t stop.“
Viele dieser Ideen sind spontan. So auch diese: Dungeons and Syntax. Den Namen gab es zu Anfang noch gar nicht, am Anfang stand die Überlegung, wie man folgendes Setting ansprechender gestalten könnte: Zu dem Seminar „Syntaktische Analyse“ gibt es eine Übung, in der die Inhalte des Seminars, wer könnte es ahnen, geübt werden sollen. Da es sich beiden Studierenden zumeist um Lehramtsstudierende handelt, ist die Königsdisziplin der Übung, sich eigenständig Sätze mit bestimmten Strukturen auszudenken sowie solche Sätze, die KommilitonInnen sich ausgedacht haben, spontan zu analysieren. Das funktioniert gut mit unterschiedlichen Formaten wie „Wer wird Syntax-MillionärIn?“, Jeopardy oder „Das Syntax-Supertalent“. Gerne erläutere ich bei Interesse, wie das jeweils umgesetzt wurde. Kurz dazu: All diese Sachen sind kurzweilig, spaßig, werden positiv evaluiert und sorgen dafür, dass die Studierenden sich viel Mühe geben beim Erstellen der Sätze. Auch die Abwesenheitsrate in der Übung ist dank dieser Formate beachtlich gesunken. Dungeons and Syntax ist eine weitere Idee in dieser Reihe und an das Pen und Paper-Spiel Dungeons and Dragons angelehnt.
Dungeons and Syntax bedient sich dabei Prinzipien der Gamification. Spielbasierte Mechaniken werden zur Motivationssteigerung und als Aufgabenkonzeption verwendet. Ansonsten möglicherweise langweilig erscheinende Aufgaben werden in Spiele umgewandelt. Mechaniken wie Besiegen von Gegnern und das Erlangen von Abzeichen oder Belohnungen sollen die Aufgaben spannender und angenehmer zu bewältigen machen (vgl. Fui-Hoon Nah et al. 2013: 99). Dafür werden fünf Prinzipien genutzt (vgl. ebd.: 100):
- Zielorientierung
- Belohnung
- Verstärkung
- Wettbewerb
- Spaß
Angefangen hat alles als einfaches Arbeitsblatt: Ein Labyrinth, in dem verschiedene „Monster“ vorkamen, die man auf dem Weg durch das Labyrinth zum Schatz besiegen musste. Wie besiegen? Indem man Sätze mit bestimmten Strukturen bildet.
Das Labyrinth, durch das die Studierenden ihren Weg finden mussten. Auf dem Arbeitsblatt wurden dort noch kleine Grafiken von Monstern eingefügt.
Das Arbeitsblatt wurde begeistert angenommen, hatte aber auch einige Mankos. Ich tat, was ich an dieser Stelle immer tue: Ich bat um Feedback zum Arbeitsblatt. 10/10, kann ich empfehlen. Studierende freuen sich in der Regel, an der Verbesserung von Arbeitsmaterialien mitzuwirken. Vor allem, wenn sie danach sehen, dass diese auch umgesetzt werden. Also, lieber Kurs aus dem Sommersemester 2018, herzlichen Dank für das erste Feedback dazu! Die Kurse der nächsten Semester haben dann ebenfalls ihren Teil zur Weiterentwicklung des Arbeitsblattes und der gesamten Idee beigetragen.
Mit diesem Motivationsschub entstanden ebenfalls die ersten Bilder für die Charaktere. Es sollte eine klassische Dungeon-Gruppe sein: Ein Tank, ein/e Heiler/in und zwei Damage Dealer. Für die Nicht-Dungeon-Erfahrenen: Wenn man ein Monster besiegt, zieht der Tank die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich und hält den Schaden vom Rest der Gruppe fern. Der/die Heiler/in stellt verlorene Lebenspunkte wieder her und die beiden Damage Dealer tun ebenfalls das, was ihr Name sagt. Sie fügen dem Monster Schaden zu, damit es besiegt werden kann. Enstanden sind auch bereits drei Damage Dealer, aber in die Gruppe integriert wurden bisher nur jeweils zwei.
- Bogenschütze/-schützin
- Schurke/Schurkin
- Magier/in
- Heiler/in
- Tank
Die Bilder sind Pixelgrafiken, die, ganz simpel, mit unterschiedlich eingefärbten Zellen in Excel erstellt wurden. Sie zieren das Arbeitsblatt ganz oben und die Studierenden haben großen Spaß daran gehabt, sich „ihren“ Charakter auszusuchen.
Im Sommersemester 2019 habe ich das Arbeitsblatt wieder eingesetzt und ein Student fing direkt nach der Aufteilung der Charaktere an, das Ganze wie ein klassisches Pen & Paper-Abenteuer aufzuziehen. Er hatte sich zum Spielleiter erkoren und führte seine Gruppe dementsprechend zu einem mit Ranken bewachsenen Höhleneingang. Die Gruppe entschied sich, hineinzugehen und bald fanden sie sich vor einer Weggabelung (die erste Abzweigung im Labyrinth) wieder … sollten sie weiter geradeaus gehen oder den Weg nach rechts einschlagen? Ich fand diese Idee für das Arbeitsblatt großartig – der Name „Dungeons and Syntax“ war geboren.
Ein Zeitsprung in das WS 2019/20: Auch im Vorkurs für unsere Masterstudierenden, der traditionell als Blockveranstaltung angeboten wird, habe ich das Arbeitsblatt verwendet. Erfahrungsgemäß bietet es gerade in einer Blockveranstaltung eine willkommende Abwechslung zum Input. Die Studierenden waren wieder mit Feuer und Flamme dabei. Zwei von ihnen, rollenspielerfahren, fragten, ob die unterschiedlichen Klassen denn auch Spezialfähigkeiten hätten. Hatten sie nicht, aber die Idee wiederum war klasse. In der Mittagspause war ich so inspiriert von der Idee, dass ich einen ersten Entwurf niedergeschrieben habe und ihn den Studierenden am Nachmittag vorgelesen habe. Ich schwöre, der Fähigkeitenname „Göttliche Intervention“ war ihr Wunsch! Die ersten Entwürfe lesen sich so:
Es fehlt natürlich noch eine einheitliche grafische Gestaltung, aber Fähigkeitenname, Flavourtext („Puff und weg. Haha!„) und Fähigkeitenbeschreibung an sich sind final. Die Gestaltung als Karten war ein Versuch, das Ganze in ein Format zu bringen, das sich leicht drucken lässt und an mehrere Gruppen verteilt werden kann.
Im Anschluss an das Wintersemester 2019/20 entstand dann der untige Einleitungstext für das Syntax-Abenteuer, ein Abenteuer einer mutigen Gruppe auf der Suche nach dem Schatz von Syntagma.
Der neue Vorspann des Arbeitsauftrags. Auf in die Dungeons!
Ihr Auftrag: Finden Sie einen Weg durch das Dungeon. Sichern Sie sich den Schatz! Doch Vorsicht, der Weg zu Reichtum und Ruhm ist mit Hindernissen gespickt … Wählen Sie vor Betreten des Dungeons eine Klasse. Jede Klasse verfügt über eine einmalig einsetzbare besondere Fähigkeit, die Ihnen helfen kann, den Schatz zu erringen. Doch setzen Sie Ihre Kräfte mit Bedacht ein!
Das Sommersemester stellte die Idee dann vor eine völlig neue Herausforderung: Wie umsetzen, wenn das Arbeitsblatt nicht wie sonst in der großen Gruppe in Präsenz im Anschluss besprochen werden konnte? Die Lösung führt zurück in die Anfänge des Rollenspiels als textbasiertes Abenteuer. Die Studierenden wurden zum Anfang des Online-Semesters in Gruppen eingeteilt. Um direkt das richtige „Setting“ zu generieren, hatten diese Gruppen entsprechende Namen:
- Uralte Determinativ-Drachen
- Flektierende Fledergeister
- Gradpartikelgoblins
- Konstitu-Enten
- Linguistische Lindwürmer
- Imperativigel
- Verbale Velociraptoren
- Phonetikvögel
- Baumstrukturblümchen
- Morphologische Murmeltiere
In diesen Gruppen wurden nicht nur zum Teil Aufgaben im Seminar bearbeitet sondern auch Dungeons and Syntax im StudIP-Forum bestritten:
Ihre Gruppe betritt ein verlassenes Gemäuer. Hier soll es einen sagenumwobenen Schatz geben, haben Sie gehört … Die Luft ist eisig und es riecht irgendwie modrig … ein kalter Luftzug umweht Sie. Sie haben das Gefühl, als wenn die Luft voller Gemurmel ist … Wörter und Phrasen, Sätze, kommunikative Minimaleinheiten, alles in einem fast unverständlichen Wirrwarr.
Dann plötzlich springt ein wildes Monster in Ihren Weg! Es ist ein Partikelpinguin, der sich in der kalten Luft besonders wohlfühlt!
Besiegen Sie den Pinguin, indem Sie einen Satz mit einem Präpositionalobjekt und einem Genitivattribut bilden. Der Pinguin hat drei Lebenspunkte, mindestens drei Gruppen müssen einen richtigen Satz posten, um ihn zu besiegen.
Das hat recht gut funktioniert. Die Gruppen haben sich Mühe gegeben mit ihren Beispielen und ich habe direkte Rückmeldung zu den „Angriffen“ gegeben, indem ich sofort geantwortet habe, wenn die Gruppe dem Gegner einen Schadenspunkt zugefügt hat. Die Rückmeldung der Studierenden waren ebenfalls positiv (bis auf die Anmerkung, dass es zu viele Gruppen gab und dadurch das Posten teilweise unübersichtlich wurde, was der Seminargröße geschuldet war).
Quo vadis, Idee? Wie vielleicht deutlich geworden ist, ist Dungeons and Syntax noch kein fertiges Konzept. Im Gegenteil, ich erhalte ständig neue Inspiration durch Gespräche mit KollegInnen und Studierenden. Das Kapitel Dungeons and Syntax ist also noch nicht abgeschlossen sondern wird noch weiterentwickelt werden. Stay tuned!
Ziel dieses Beitrags war vor allem, die Evolution der Idee grundlegend zu skizzieren. Der Grund dafür war, dass ich deutlich machen wollte, dass auch Seminarunterlagen einer Entwicklung bedürfen und durch die Nutzung von Feedback an Wert bzw. Qualität gewinnen können. Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, dass besonders der Enthusiasmus und die Ideen der Studierenden dazu beigetragen hat, dass Dungeons and Syntax weiterentwickelt werden konnte und immer noch weiterentwickelt wird. Zum Teil habe ich auch ausschnittsweise davon auf Twitter berichtet.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Syntax-Kursen aus dem Sommersemester 2018, 2019 und 2020 sowie den Vorkursen aus dem Wintersemester 2018/19 und 19/20 danken, die durch ihren Enthusiasmus und ihre bereitwilliges und konstruktives Feedback maßgeblich zur Weiterentwicklung von Dungeons and Syntax beigetragen haben. It’s an ongoing process, aber ohne euch/Sie wäre er nie ins Rollen gekommen.
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